Zu Besuch bei Anne Oskal
Eine Fotostory aus Norwegen
von Jane Tversted und Martin Zähringer
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Mit dem Bus dauert es 15 Minuten von Bodø City bis zum Lavvo von Anne Oskal. Von der Bushaltestelle kommt man durch einen Wald und erblickt das Lavvo durch die Bäume.
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Im Sommer 2024 haben wir in Nordnorwegen für SWR Kultur zu einem Konflikt zwischen samischen Rentierzüchtern und Windenergieunternehmen recherchiert. Das Feature „Der Joik des Windes“ kann hier gehört werden →. Nebenbei stießen wir auch auf andere interessante Geschichten und Menschen. Zum Beispiel die Rentierzüchterin Anne Margaretha Oskal. Die Samin aus Saltfjellet führt die Familientradition auf ihre Weise fort.
Anne Oskal ist bei unserer Ankunft noch nicht da. Wir können uns erstmal umschauen.
In direkter Nachbarschaft gibt es eine ehemalige Landwirtschaftsschule, die jetzt ein Kulturzentrum ist, eine idyllische Teichlandschaft, ein Bunkermuseum zum II. Weltkrieg und eine Kirche, in der gerade eine Beerdigung stattfindet.
Zum Lavvo gehören ein Waldgehege und eine große Wiese für die Rentiere. Es sind 7 an der Zahl, sie stammen aus der Herde der Oskal-Familie und sollen sich hier im geschützten Raum erholen, sei es von einer Attacke durch einen Adler oder weil sie schon als ganz junge Tiere Waisen geworden sind. Hier ist Engel zu sehen, er wohnt schon sehr lange bei der Familie.
„Mein Name ist Anne Margaretha. Aber in Sámi würde ich mich als Oskal, Mahte, Antte, Per Ole, Anne Margaretha vorstellen. Ich weiß, auf Samisch klingt das sehr lang, aber in der samischen Gemeinschaft ist es praktisch. Wenn ich meinen Familiennamen vorstelle, meinen Urgroßvater, meinen Großvater, meinen Vater und auch mich selbst, dann wissen alle genau, wo wir hingehören.“
Anne Oskal ist als Rentierzüchterin ausgebildet, 2 Jahre Schule, 2 Jahre Lehre. Mit Zwanzig hat sie es einmal in der Großstadt versucht, aber sie hat nur sechs Wochen in Oslo ausgehalten. Die Rentiere habe sie vermisst, die Sprache, das sámische Leben. Als Sámi-Kulturbotschafterin konnte sie durch Norwegen reisen und war erstaunt, wie wenig über ihre Leute und Kultur bekannt ist. Und genau das will sie mit ihrem Lavvo bei Bodø nun ändern.
Das Lavvo soll ein Ort der Begegnung sein, in dem die sámischen Gäste sich geborgen fühlen und die anderen fragen dürfen, was sie wollen.
Im Lavvo erzählt Anne Oskal von der Kultur, Sprache und Geschichte der Sami. Das Sámische ist für die Rentierzucht besonders wichtig, weil es viele Fachbegriffe nur in dieser Sprache gibt, und für die Kultur ist die eigene Sprache ohnehin unverzichtbar. Gerade deshalb wurde sie auch lange unterdrückt, das war die Zeit der Norwegisierung: „Der norwegische Staat entschied, dass es für alle das Beste wäre, wenn wir Sámi einfach Norweger würden. Ein schrecklicher Teil unserer Geschichte. Kinder, die noch nie Norwegisch gehört hatten, die kein Wort Norwegisch konnten, mussten plötzlich Norwegisch sprechen. Wenn sie Sámisch sprachen, gab es brutale Konsequenzen.“
Anne Oskal erzählt uns, dass sie selbst nicht mehr in einer jener Internatschulen gelandet ist, in denen den Kindern der Sami ihre Sprache abgewöhnt wurde. Aber die Entfremdung von ihrer eigenen Kultur hat sie dennoch stark geprägt. Als Kind sei sie selbst eingeschüchtert gewesen, wenn es um sámisches Essen ging. Also flunkerte sie nach den Weihnachtsferien in der Klasse, es habe Krustenbraten vom Schwein gegeben, wie bei allen eben, dabei gab es gekochte Rentierköpfe als Spezialität. Heute bereut sie das und ist überzeugt, je mehr man von der eigenen Kultur und Lebensweise zeigt und erzählt, desto besser wird man akzeptiert.
„Jetzt geht's los. Blutpfannkuchen. Sie werden aus Rentierblut gemacht und sind das Lieblingsessen meiner Kinder. Und auch meins. Wir lassen nichts verkümmern, was von einem Rentier stammt.“
„Wir haben eine Pacht mit den Rentieren, dass wir ihr Leben ehren, indem wir alles nutzen, was vom Rentier kommt.“
Anne Oskal hat ihren kleinen Sohn Lars Johannes immer dabei. Die Pfannkuchen haben ihm gut geschmeckt, das konnten wir sehen. Aber sprechen können wir mit ihm leider nicht, weil er bisher nur Samisch spricht. Das war Annes Entscheidung, die nicht überall Anklang findet. Sie erklärt jedoch, das Samische sei eine gefährdete Sprache und das Norwegische als Sprache der Mehrheitsgesellschaft käme ohnehin dazu.
Lars Johannes hat die Rentiere sehr lieb und er wird sie natürlich auch beschützen.
Hinter dem Lavvo beginnt das Reich der Rentiere. Sie sind sehr neugierig und haben sich sehr schnell an uns gewöhnt. Die jüngeren Tiere spielen besonders gern mit Lars Johannes, er lacht amüsiert, wenn sie ihn beschnuppern.
Es hat uns sehr beeindruckt, wie Anne Oskal über ihre Tiere spricht. Sie hätten alle eine Persönlichkeit und eine jeweils eigene Beziehung zu ihr. Manche hat sie sogar mit der Flasche aufgezogen und das Rentier Olav ist genau so alt wie ihr Sohn.
„Ich bin eine Nordsámi. Meine Eltern sprechen beide die nordsámische Sprache und beide Elternpaare kommen aus Rentierzüchterfamilien, also sind wir seit Generationen Rentierzüchter. Das ist auch einer der Gründe, warum es so in mir verankert ist, dass die Rentiere immer an erster Stelle stehen. Ein Sprichwort sagt: Wo die Rentiere sind, ist unser Zuhause. Wenn ich meine Rentiere hier in Bodø nicht hätte, wäre es nicht wirklich meine Heimat.“
Diese Geschichte haben wir auch als DLF-Podcast produziert Hier geht es zur Sendung →